Pfingstsonntag: Predigt zu Gen 11,1-9

Predigttext: 1. Mose 11,1-9
Gottesdienst: Pfingstsonntag
PredigerIn: Dr. Nikolaus Hueck, Pfarrer

Den Predigttext für heute kennen vermutlich die allermeisten von Ihnen.
Aus dem Kindergottesdienst. Oder aus dem Religionsunterricht.
Es geht um den Turmbau zu Babel.
Also um die Geschichte von den Menschen, die ein mächtiges Bauwerk errichten wollen.
Und von Gott, der aus dem Himmel herunterfährt, um das zu verhindern.
Am Schluss zerstreut Gott die Menschen in alle Winde.
Und er sorgt dafür, dass sie ab jetzt unterschiedliche Sprachen sprechen.

Ich lese aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 11:

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.
Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen:
Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.
Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.
Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!
So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.
Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Auf den ersten Blick ist das ein merkwürdiger Text für das Pfingstfest.
Kein einziges Mal ist vom Heiligen Geist die Rede.
Kein einziges Mal von der Kirche, deren Geburtstag wir doch heute feiern.
Warum dann dieser Text an einem Fest wie heute?

Ich habe dazu drei Gedanken, von denen ich Ihnen heute morgen erzählen will.

Mein erster Gedanke:
Was genau war eigentlich so schlimm an diesem Turmbau?
Dass die Menschen Gott auf die Pelle gerückt sind?
Dass sie ihn herausgefordert haben?
Dass der Turm bis an den Himmel reichte?
Das glaube ich nicht.
Denn Gott hat den Turm von dort oben noch nicht einmal sehen können.
Er musste - so erzählt das unsere Geschichte mit feiner Ironie -
er musste erst einmal "herniederfahren".
Und erst als er unten auf der Erde war, hat er dieses Türmchen der Menschen überhaupt sehen können.
Eine echte Herausforderung hat dieser Turm für Gott jedenfalls nicht bedeutet.

Was war dann so schlimm an dem Turmbau?
Vielleicht, dass die Menschen überhaupt versucht haben, frech zu werden.
Dass sie sich überhaupt getraut haben, den Himmel zu stürmen.
Auch wenn es bei einem kläglichen Versuch blieb?

Auch das glaube ich nicht.
Denn wenn man genau liest, dann merkt man:
Die Menschen haben den Turm nicht aus Überheblichkeit gebaut.
Nicht aus dem Gefühl heraus, Gott wirklich erreichen zu können.
Nein, es war nicht Überheblichkeit, es war Angst.
Die Menschen haben den Turm zu Babel gebaut, weil sie Angst hatten.

Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.

"Denn wir werden sonst zerstreut auf der ganzen Erde."
Das ist der Grund für den Turmbau.
Die Angst, die Heimat zu verlieren.

Deshalb wollen sie stark und mächtig werden.
Deshalb wollen sie sich einen Namen machen.
Deshalb haben sie Stein auf Stein geschichtet,
und das noch aus den härtesten Materialien, die damals bekannt waren.
Weil sie unter sich bleiben wollten.
Weil sie bleiben wollten, wo sie sind.
Weil eben alles so bleiben sollte, wie es ist.

Menschen bauen hohe Mauern, sie bauen eine mächtige Stadt und einen hohen Turm, weil sie die Veränderung fürchten.

Und was passiert?
Genau das Gegenteil.
Gott fährt hernieder und macht genau das, was die Menschen nicht wollten: Er zerstreut sie in alle Winde.
Und noch schlimmer: Er nimmt ihnen die gemeinsame Sprache.

Für die Menschen, die doch eigentlich alles hatten festhalten wollen.
Die sich einmauern wollten in ihre alte, bekannte Welt.
Für die Menschen ändert sich viel.
Ändert sich alles.
Sie müssen ein neues Leben anfangen.
Müssen von jetzt an zurecht kommen in der Fremde.

Ich glaube, dass die Geschichte vom Turmbau zu Babel genau davon erzählt:
Dass Gott die Menschen aus ihrer Komfortzone holen will.
Dass er sie hindern will daran, sich einzuigeln.
Gott will, dass Menschen aufbrechen und tatsächlich Neues wagen.
Er will, dass sie nicht unter sich und ihresgleichen bleiben, sondern hinaus gehen in die Welt,
in der es bunt ist und laut und lebendig.
Und sich nicht hinter Mauern verschanzen.
Deshalb zerstreut er sie.
Deshalb lässt er sie viele Sprachen sprechen.

Übrigens: Nur ein paar Verse nach unserer Geschichte steht in der Bibel die Geschichte von einem Menschen, der genau das tut: Abraham ist der Mensch, der aufbricht.
Der auf Gott vertraut. Und den Gott begleitet, sein Leben lang.

Für mich heißt das: Gott will, dass Menschen aufbrechen.
Aber sie müssen nicht alleine aufbrechen.
Sie müssen nicht alleine in die Fremde ziehen.
Nicht alleine das Neue wagen. Gott ist dabei.
Er begleitet und beschützt sie.
Das macht den Aufbruch viel leichter.

Mein zweiter Gedanke:
Eigentlich ist diese Geschichte vom Turmbau zu Babel auch so etwas wie eine Pfingstgeschichte.
Lange vor Pfingsten natürlich.
Aber wie in Babel geht es auch an Pfingsten darum,
dass der Heilige Geist die Jünger auf die Straße treibt.

Eben noch saßen sie ängstlich und trübsinnig in ihren vier Wänden.
Haben sich gegenseitig in Ihrer Angst bestärkt - und in ihrer Trauer um die geplatzten Hoffnungen.
Aber dann greift der Heilige Geist ein.
Er schickt sie raus. Hinaus auf die laute, bunte Straße.
Mitten unter die Menschen.
Menschen, die alles mögliche sprechen.
Alle möglichen Sprachen der Zeit.
Und die alles mögliche glauben.
Der Geist treibt die Jünger mitten unter die Menschen,
die noch nie etwas gehört haben von Jesus Christus oder gar seiner Auferstehung.
Und sie schaffen es, so zu reden, dass alle sie verstehen.

Naja, manche verstehen sie vielleicht nicht ganz so gut und spotten über sie.
Diese Leute, die da so begeistert reden, die hätten ja wohl zu viel vom süßen Wein getrunken.
Aber wer hat gesagt, dass Vielfalt einfach ist?
Vielfalt ist mühsam, anstrengend und voller Missverständnisse.
Je bunter es ist, desto schwieriger versteht man den anderen.
Das haben sicher die Leute aus Babylon gemerkt, als Gott sie in die Fremde geschickt hat.
Und das merken jetzt die Jünger, als der Heilige Geist sie auf die Straße treibt.

Aber Vielfalt ist das Leben.
Vielfalt ist der Ort, wo sich unser Glaube tatsächlich zeigt.
Und ja, in dieser Vielfalt der Leute damals in den Straßen Jerusalems, genau da liegt der Ursprung unserer Kirche.

Und heute?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit der Vielfalt immer so besonders gut zurecht kommen.
Ob wir uns vom Heiligen Geist auf die Straße treiben lassen.
Vielleicht bleiben wir manchmal auch ganz gerne in den selbstgemauerten Kirchen, statt hinauszugehen und die Menschen zu suchen.

Wir hier in Augsburg: Wir wohnen in einer Stadt,
in der es eine Fülle von Kulturen und Religionen gibt.
Und in der es natürlich viele Menschen gibt, die gar nichts glauben.Was sagen wir denen?
Wie sprechen wir von unserem Glauben?
Finden wir Worte, die andere verstehen können?
Und versuchen wir, andere zu verstehen?
Denn: Wer die Sprache des anderen sprechen möchte, muss erst einmal zuhören.

Vielleicht sind wir auch manchmal ganz froh, dass wir unsere eigene Sprache haben,
in der wir uns gegenseitig einigermaßen verstehen und meistens auch ganz wohl fühlen?
Also: Verlassen wir hin und wieder unsere Komfortzone?

Vielleicht sind wir auch manchmal ganz froh, wenn wir beim Alten bleiben können.
Bei den alten Streitereien, in denen wir uns ganz gut eingerichtet haben.
Wir wissen, wen wir mögen und wen wir nicht mögen.
Und das soll, bitteschön, auch so bleiben.

Der Heilige Geist ist da, glaube ich, anderer Meinung.
Komm raus aus Deiner Komfortzone, sagt er.
Überschreite die Grenzen, die Du Dir selbst gesetzt hast.
Geh auf die anderen zu.
Wer weiß, vielleicht weht bei dem anderen mehr Geist als Du Dir vorstellst.

Mein dritter Gedanke
Ich glaube, wir brauchen beides.
Wir brauchen die Gemeinschaft und die Geborgenheit unserer Gemeinde.
Und wir brauchen die Vielfalt, wie sie vor unserer Kirchentür herrscht.
Sonst wird unser Glaube leblos und kraftlos.

Wir brauchen die bekannte Sprache und die bekannten Gottesdienstformen.
Den meisten von uns geben sie Halt.
Aber wir dürfen uns darin nicht einmauern.

Wenn aus unserem Glauben eine Schutzmauer gegen die Welt wird,
mit unerschütterlichen Dogmen als Stein und kirchlicher Sprache als Mörtel
dann läuft etwas falsch.

Der Geist lässt sich nicht einsperren.
Er treibt uns immer wieder raus in die bunte Welt.
Aber er begleitet uns auch.
Er bleibt bei uns, wenn wir ihn brauchen.
Er hilft uns, dass wir aufbrechen und Neues anfangen.
Mit ihm müssen wir keine Angst haben, dass wir uns selbst verlieren.

Die Welt, in der wir leben, ist bunt und verrückt, manchmal wunderschön und oft todtraurig.
Und vor allem: Das alles ändert sich andauernd

Der Heilige Geist begleitet uns durch die Zeit.
Das hat Christus uns versprochen.

Darauf dürfen wir vertrauen.
Mit dem Heiligen Geist als Begleiter können wir uns auf diese Welt, auf das Fremde, auf das Bunte, auf das Ungewohnte einlassen und werden dabei keinen Schaden nehmen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.

[Diese Predigt verdankt entscheidende Anregungen dem immer wieder empfehlenswerten Band: Alexander Deeg / Andreas Schüle: Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte. Exegetische und homiletisch-liturgische Zugänge, Leipzig, 2. Aufl. 2018, zur Stelle).]