Gottesdienst: Letzter Sonntag nach Epiphanias, 31. Januar 2021
PredigerIn: Dirk Dempewolf, Pfarrer
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
die Menschen in der Zeit um 100 nach Christi Geburt waren nicht dümmer als wir heute. Natürlich war ihnen klar, dass der Apostel Petrus, der Freund und Begleiter Jesu schon seit einer Generation tot war. Vielleicht deshalb leiht sich ein Gemeindeleiter dieser Zeit seinen Namen und seine Autorität und sogar seine Gotteserfahrung mit der Verklärung Jesu, um seine Gemeinde in der Zeit der Verfolgung zusammen zu halten. Indem er sich die Autorität einer wichtigen Persönlichkeit aus der Geschichte des Christentums leiht, macht er deutlich wie wichtig diese Wurzeln sind, diese Gotteserfahrungen und die Person und das Leben Jesu.
Vielleicht geht es dem Gemeindeleiter aber auch so, dass er für seine Gotteserfahrung und seinen Glauben keine Worte findet und sich deshalb die Erfahrung der Jünger auf dem Berg der Verklärung leiht. So wie wir das heute noch manchmal tun, indem wir biblische Geschichten als Folie für unseren Glauben nutzen, uns biblische Worte leihen um zu beten und über Gott zu sprechen.
Die Geschichten um Jesus, seine Lehre und seinen Tod und seine Auferstehung sind eben keine Nebensache, sind weder symbolisch gemeint noch gut gemeinte Märchen mit Lehrcharakter. Sie sind Erfahrungen der Jünger und Freunde Jesu und so real wie jede Erfahrung, die diese zu ihrer Zeit gemacht haben.
Mit dieser Deutung haben die Christen also schon 70 Jahre, zwei Generationen nach Jesu Auferstehung und eine Generation 30 Jahre nach dem Tod der letzten Jünger und Apostel zu kämpfen. Irrlehrer wollen die Erfahrungen und Geschichten aus der Zeit mit Jesus einebnen, ihnen das Besondere und den Offenbarungscharakter nehmen und die Christen in die allgemeine Religiosität ihrer Zeit einpassen. Vielleicht auch, um der Verfolgung zu entgehen. Der neue Petrus hält in zwei Briefen dagegen und nimmt die Gotteserfahrung der Jünger mit Jesus ernst und relevant bis heute.
Er schreibt in seinem 2. Brief in Kapitel 1 Verse 16 bis 21:
Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift aus eigener Auslegung geschieht. Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben vom Heiligen Geist haben Menschen in Gottes Auftrag geredet. Amen
Wie ist das mit Gotteserfahrungen?
Natürlich machen auch wir heute Erfahrungen mit Gott. Oft erkennen wir das erst im Rückblick, manchmal aber auch zeitgleich. Ein Kollege schreibt dazu:
Ich selbst habe vor Jahren in einer kleinen Kirche im Darmstädter Raum einmal etwas ganz Ähnliches erfahren. Ein Kollege leitete eine Meditation über den „Schatz in den irdenen Gefäßen“ an. Ich hatte die Augen geschlossen und plötzlich driftete ich weg. Es war der Satz aus 2. Korinther 4,9, der mich auf die Reise schickte: „Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorbrechen, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“ Im nächsten Augenblick sah ich das Licht und ich wusste: In ihm war Gott. Wieder einen Augenblick später umgab mich völlige Dunkelheit und ich wusste: In ihr war auch Gott. Aber selbst diese zeitliche Unterscheidung ist falsch: es gab sie nicht. Ich sah beides und beides gleichzeitig: Licht und Finsternis, und in beiden war Gott. Aber das Erstaunlichste war: Auch ich war in beidem; Licht und Finsternis umschlossen mich. Plötzlich hatte ich keine Angst mehr vor der Finsternis; wenn sie ein Teil Gottes war, brauchte auch ich sie nicht zu fürchten. Ich wollte in diesen Bildern bleiben; wenn es ginge für die nächstem dreißig Jahre meines Lebens, wenn ich denn so alt würde, aber natürlich musste ich den Raum wieder verlassen. Die Meditation war vorbei. Ich saß wieder auf dem Hocker im Vorraum der Kirche und mich umgaben Menschen, die Tee und Kaffee tranken.
Hinterher schloss sich ein Gespräch über das an, was die Teilnehmer in der Meditation erlebt hatten, und was ich hörte, war völlig banal. Am liebsten wäre ich gegangen. Ich selbst konnte nichts beitragen; das Erlebnis war zu mächtig. Ich konnte nicht darüber reden.
Zitat Ende
Wie soll ich das anderen erklären und wie gehen die mit meiner Erfahrung um, fragt sich ein Kollege 2000 Jahre nach Petrus. Es ist seine Erfahrung und nur er kann sie für sich deuten und er tut das mit geliehenen biblischen Worten.
Der neue Petrus prägt aus seiner Erfahrung das Bild vom Morgenstern, der im Herzen der verfolgten Gläubigen seiner Zeit aufgeht. Der Morgenstern taucht seit der Zeit Luthers in vielen Liedern auf und ist zum sichtbaren Bild einer inneren Erfahrung geworden.
Der Morgenstern ist der letzte Stern, der aufgeht, bevor die Sonne selbst wieder am Himmel erscheint. Er kann der Morgenstern in dreierlei Weise zu uns sprechen.
Der Morgenstern geht zu der Zeit auf, in der viele Menschen aufwachen, die von Sorgen gequält, die Nacht durchwacht haben oder von diesen Sorgen aus dem Bett getrieben werden.
Der Morgenstern verheißt und verspricht den neuen Morgen. Wenn er leuchtet, ist die Sonne nicht mehr fern und das Dunkel beendet seine Herrschaft. Wo Christus leuchtet, ist das Reich Gottes nicht mehr fern.
Für die fröhlichen Menschen, die sich auf den neuen Tag und seine Herausforderungen freuen, ist der Morgenstern ein Zeichen, dass die Nacht zu Ende geht und der neue Tag sehr nah ist. Der Stern lädt zur Vorfreude ein.
Von der Sehnsucht nach dem Morgenstern spricht der Brief eines Arztes in der italienischen Lombardei zu Beginn der Corona-Krise vor einem Jahr im Februar 2020:
„Bis vor zwei Wochen waren meine Kollegen und ich Atheisten. Das war normal, weil wir als Ärzte gelernt haben, dass Wissenschaft die Gegenwart Gottes ausschließt. Ich hatte immer über den Kirchgang meiner Eltern gelacht. … Jetzt müssen wir zugeben: wir als Menschen sind an unsere Grenzen gestoßen. Mehr können wir nicht tun. Jeden Tag sterben mehr und mehr. Wir haben erkannt, dass das, was der Mensch tun kann, endet, und wir Gott brauchen. … Wir können kaum glauben, dass wir als ‚wilde Atheisten‘ jetzt wieder jeden Tag … den Herrn bitten, uns beim Widerstand zu helfen, damit wir uns überhaupt noch um die Kranken kümmern können.“ (zitiert aus einem Brief von Julian Urban).
Vielleicht ist die Erfahrung des neuen Petrus, dass er das Heraufdämmern der Zeit nach der Verfolgung durch die römische Obrigkeit, durch heidnische Autoritäten bereits sehen kann. Gott ist da im Leiden der Menschen und er ist schon in der Zeit danach. Wir sind noch mitten drin in der Pandemiezeit und ihr Ende ist nur sehr undeutlich in Sicht. Bei Gott ist dieses Ende schon da und das Leben danach dämmert für uns noch unsichtbar herauf.
Der Weihnachtsbaum und die Krippe sind Erinnerungen an die reale Geburt Gottes in unserer realen Welt. Sie sind Erinnerungen daran, wer Jesus für uns war und ist und vielleicht kleine Gotteserfahrungen, die es uns im Glauben leichter machen. Sie machen nun nach dem Gottesdienst dem Alltag des Jahreslaufs Platz. Sichtbare Zeichen der Nähe Gottes und Zuneigung Gottes werden nun weniger. Die Kirchen bleiben und Wegkreuze, die Bibel mit all den Gotteserfahrungen von realen Menschen. Sie sind wie der Morgenstern. Durch sie leuchtet das Kommen des Gottesreichs in unseren Herzen und in dieser Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen