Videogottesdienst zum Karfreitag

Predigttext: Jesaja 53,5-8
Gottesdienst: Videogottesdienst zum Karfreitag aus der Christuskirche
PredigerIn: Dr. Nikolaus Hueck

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Predigt zu Jesaja 53,5-8

Es ist ein merkwürdiger Tag, dieser Karfreitag.
Es ist der seltsamste Feiertag, den man sich denken kann.
Wir kommen zum Gottesdienst, um einer Hinrichtung zu gedenken.

Wir singen „O Haupt, voll Blut und Wunden“.
Hören, was die Evangelien über Kreuz und Tod Jesu berichten.
Das Kreuz steht im Mittelpunkt, nicht nur heute, sondern in allen unseren Gottesdiensten, in allen unseren Kirchen.

Wen wundert's, wenn sich Menschen abwenden von diesem Glauben.
Blutrünstig, selbstzerstörerisch, auf's Leiden fixiert seien die Christen.
Das sagen die Leute nicht erst seit heute, aber heute sagen sie es lauter und es werden mehr – außerhalb, wie auch innerhalb der Kirche.

Natürlich: Es gibt einfachere Feste in unserem Kirchenjahr.
Weihnachten zum Beispiel:
Da freuen wir uns über die Geburt eines Kindes.
Das kann jeder nachvollziehen.

Aber Blut, Kreuz und Tod:
Karfreitag ist und bleibt ein schwieriger, ein sperriger Feiertag.
Dabei ist der Karfreitag vielleicht der wichtigste Tag im Kirchenjahr.
Es ist der Tag, der die Christen anders macht als die übrige Welt.
Das Kreuz unterscheidet uns von allen anderen,
von den anderen Religionen ebenso wie von denen, die ohne Religion auskommen wollen.

Das Kreuz steht für die dunkle Seite des Lebens.
Für das Leiden, für das Sterben.
Für das, was Menschen sich gegenseitig antun.
Für die Qualen.
Für die Angst in durchwachten Nächten.
Für die Not, die vor allem die Schwachen trifft.

Denn es gibt sie, die Gequälten und Geschundenen.
Es gibt sie, die in ihrer Not nur noch schreien könnten.
Es gibt sie, die stumm leiden und erdulden und doch so viel Hunger auf wirkliches Leben haben.
Es gibt sie, die einsam auf den Intensivstationen sterben.
Und es gibt sie, die trotz schwerer Krankheit noch nicht einmal die Aussicht auf ein Krankenhausbett haben.
Es gibt sie auf der ganzen Welt – und hier bei uns – und manchmal gehören auch wir dazu.
Für sie alle steht das Kreuz.

Es steht für die dunkelsten Seiten des Lebens.
Und dass ein Kreuz in jeder Kirche hängt,
das bedeutet, dass wir diese dunkle Seite nicht vergessen wollen.
Es heißt nicht, dass wir verliebt wären in das Leid.
Oder auch nur, dass wir das Leid auf der Welt erklären könnten.
Das können wir nicht.

Eigentlich müssten wir verstummen angesichts dieses Leides, das es auf der Welt gibt.
Eigentlich müsste uns jedes kluge Wort im Hals stecken bleiben.

Aber seit Karfreitag haben wir Bilder, die uns helfen, das Leid in der Welt zu sehen.
Nicht wegzuschauen - und trotzdem nicht zu verzweifeln.

Ich stelle mir die Jünger vor, wie für sie an diesem Tag eine ganze Welt zusammenbricht.
Der, auf den sie ihr ganzes Leben gesetzt haben,
dem sie gefolgt waren, für den sie alles verlassen hatten ...
Jesus, der doch immer ganz auf die Seite Gottes gehört hatte, der war jetzt tot.
Hingerichtet. Jämmerlich krepiert.
Angekommen am gottesfernsten Punkt, den man sich nur denken kann.

Ich stelle mir vor, wie die Jünger zusammen sitzen.
Keiner weiß, was er sagen soll.
Keiner wagt, den anderen in die Augen zu schauen.
Leid macht einsam und stumm.
Aber es gibt Worte. Worte aus dem Buch Jesaja.
Da steht etwas, das ihnen weiterhilft.
Da steht etwas vom Knecht Gottes.
Eine rätselhafte Figur.
Bis heute weiß man nicht so ganz genau, wen der Prophet damit gemeint haben könnte.

Er, dieser Knecht Gottes, war der "Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet."

Das steht da.
Und die ersten Christen erkennen darin das Angesicht Jesu wieder.
Das blutige Gesicht unter der Dornenkrone.
Die Gestalt, die von den Soldaten verspottet wurde.

Und es geht noch weiter. Bei Jesaja, im 53. Kapitel, heißt es:
Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Ich stelle mir vor, wie diese Worte in den Jüngern arbeiten.
Das, was mit Jesus passiert ist, das könnte einen Sinn gehabt haben.
So widersinnig sich das auch anhört.

Aber da steht es doch:
In der Plage und Marter des einen liegt Frieden und Heil für alle.

So verstehen sie die Worte. Begreifen können sie sie noch nicht.
Wie sollen die Qualen eines einzelnen die Wunden aller heilen?
Kann Leiden, kann der Tod einen Sinn haben?
Stellen sich da nicht alle Stacheln auf, wenn man zu jemandem sagt:
Dein Leiden hat einen Sinn, wirst schon sehen?
Oder noch schlimmer: Dein Leiden kommt von Gott - du wirst es Dir schon irgendwie verdient haben?

Ich stelle mir vor, wie die Jünger darüber ins Reden kommen.
Wie sie sich allmählich wieder in die Augen schauen können.
Wie sie sich gegenseitig von ihrer Trauer, von ihrer Angst, von ihrem Schmerz erzählen.
Wie sie jetzt wieder miteinander sprechen können.
Wie sie versuchen, gemeinsam zu begreifen, was da an diesem Karfreitag passiert ist.

Dieses Gespräch ist bis heute nicht vorbei.
Bis heute gelingt es uns nicht wirklich, dieses Kreuz zu verstehen.
Bis heute stehen wir fassungslos davor, dass Menschen so grauenhaft foltern können.
Dass sie denjenigen kreuzigen können, der nichts anderes getan hat, als die Liebe zu predigen.
Bis heute fällt es uns schwer, das zu verstehen.

Ja, auch wir haben Worte, die uns ins Reden bringen.
Uns hilft unser Glaube, dass wir nicht verstummen müssen angesichts des Todes und der Boshaftigkeit der Menschen.

Wir Christen glauben, dass der, der da gestorben ist, niemand anderes war als Gottes Sohn.
Wir glauben, dass Gott selbst am Kreuz gestorben ist.
Und wir glauben, dass dieser Tod für uns geschehen ist.

Was das genau heißt, wie wir uns das genau vorstellen sollen:
Jeden Karfreitag wieder stelle ich mir diese Frage und muss mir eingestehen:
So genau weiß ich das nicht.

Was ich weiß, und was ich glaube, das ist:
dass ich, dass wir an diesem Tod mitschuldig sind.
Nicht weil wir damals "Kreuzige ihn" gerufen hätten.
Sondern weil wir so sind wie wir sind:
Eigensinnig, störrisch, egoistisch.
Manchmal boshaft und oft eitel.
Und vor allem sind wir lieblos.
Lieblos gegen andere. Lieblos gegen die Schwächeren.
Und, ja, auch lieblos gegen uns selbst.

Das Kreuz, so verstehe ich das, ist der letzte und der lauteste Ruf,
ja Schrei Gottes nach Liebe unter den Menschen.
Der verzweifelte Schrei Gottes nach Frieden und nach Heilung.
Wer diesen Schrei nicht hört,
wer an diesem unschuldigen Tod nicht verzweifelt -
wer den Gekreuzigten ansehen kann und immer noch nicht begreift,
dass nicht Hass, nicht Verachtung, nicht Überheblichkeit diese Welt rettet, sondern nur die Liebe -
dem ist wohl nicht mehr zu helfen.
Das weiß ich.

Und dann weiß ich noch etwas:
Es gibt keinen gottesfernen Punkt auf dieser Welt.
Jesus hat zu Lebzeiten ganz auf die Seite Gottes gehört.
Und er hat auch in seinem Tod ganz auf die Seite Gottes gehört.
Er war immer geborgen in Gottes Hand, auch wenn selbst er das nicht immer spüren konnte.
Das Kreuz ist das Zeichen dafür, dass Gott uns selbst im Tod auffangen wird.
Nichts, nicht einmal der Tod kann uns von ihm trennen.
Nicht der Tod und nicht das Leid.
Niemand ist von Gott verlassen.
Das glaube ich fest.

Und dann glaube ich noch etwas:
Das Kreuz sagt dir:
Gott selbst hat gelitten.
Zu diesem Leben gehören auch die dunklen Seiten, die Krankheit, der Tod.
Du musst sie nicht ausblenden.
Nicht aus Angst, nicht aus Ekel.

Was dich schreien macht,
was dich weinen lässt, was dich vor Furcht zittern lässt –
das gehört eben auch zu deinem Leben, das Gott dir geschenkt hat.
Niemand kann es wegzaubern.

Aber seit Karfreitag darfst du dir sicher sein:
Du schreist, weinst, zitterst nicht alleine,
sondern Gott tut es mit dir.

Und jeder, der an diesen Gott glaubt, der wird nicht an dir vorübergehen,
sondern deine Hand halten und mit dir gemeinsam aushalten, was eigentlich nicht auszuhalten ist.

Amen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.