Sonntag Okuli: Predigt zu Epheser 5

Predigttext: Eph 5,1-2.8-9
Gottesdienst: Sonttag Okuli, 7. März 2021
PredigerIn: Dr. Nikolaus Hueck, Pfarrer

So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder
und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat
und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer,
Gott zu einem lieblichen Geruch.
Denn ihr wart früher Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Wandelt als Kinder des Lichts;
die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
und prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist.
(Eph 5,1-2.7-10)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie sich an Ihre Eltern erinnern.

Manche von Ihnen werden sich sicher vor allem daran erinnern, wie schmerzlich die Jugend war.
Als sie lernen mussten, sich abzunabeln.
Weil die Eltern ein anderes Lebensmodell hatten.
Andere Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ist.
Und wie sie es schließlich geschafft haben, das alles hinter sich zu lassen. Und auf eigenen Beinen zu stehen.
So erinnern sich die einen.

Andere erinnern sich anders an ihre Eltern.
Da ist nicht so sehr der Kampf um den eigenen Standpunkt im Gedächtnis.
Sondern vor allem die Dankbarkeit für alles, was die Eltern ihnen hinterlassen haben.
Wie sie sie geprägt haben, was sie alles Gutes und Wertvolles für das Leben mitgegeben haben.
Ich höre das oft in Beerdigungsgesprächen: Meine Mutter, mein Vater haben mir so viel mitgegeben.
Haben mir so viel Liebe und Aufmerksamkeit geschenkt - davon zehre ich bis heute.
So kann es gehen, wenn es sehr gut geht.

Wahrscheinlich ist es bei den meisten von uns irgendwas dazwischen.
Wir haben uns abgenabelt und stehen auf eigenen Füßen.
Und sind doch dankbar für das, was wir von unseren Eltern geschenkt bekommen haben,
mitbekommen haben für unser eigenes Leben.

Natürlich haben uns auch andere geprägt auf unserem Lebensweg.
Freundinnen und Freunde, Patinnen und Paten.
Später dann Kollegen, Chefinnen.
Und, bei manchen von uns auch die eigenen Kinder.
Auch die können einen prägen und beeinflussen.

Wie ich auf all das komme?
Im Predigttext geht es genau darum:
Was - besser: wer - prägt uns? Wie werden wir zu denen, die wir sein sollen und wollen?
Unser Predigttext beginnt mit einem Paukenschlag:
So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.

Man liest über so einen Satz leicht hinweg.
Aber eigentlich ist er unerhört.
Gott nachahmen - das ist ein unfassbar großes Wort.
Der Epheserbrief traut uns etwas zu, das ich selbst mir nie zutrauen würde:
Dass ich auch nur in die Nähe von Gott kommen könnte mit dem, was ich tue.

Ich, der ich Mühe habe, jeden Morgen aufzustehen und einigermaßen unfallfrei durch den Tag zu kommen.
Ich, der ich so viel Grund habe,
an meinen eigenen Fehlern,
an meinen eigenen Unzulänglichkeiten, 
an meiner eigenen Unfähigkeit zu verzweifeln.
Ich, der ich - wenn ich ehrlich zurückschaue - höchstens eine eher gemischte Bilanz meines bisherigen Lebens ziehen kann. - Und ich nehme an, uns geht das allen so.

Mir, Ihnen, uns wird gesagt:
"Ahmt Gott nach. Ahmt seine Liebe nach!"
Und das sagt der Text ja, weil er es uns zutraut:
Ihr seid Gottes geliebte Kinder.
Also könnt ihr auch ähnlich gut sein wie er.
Ihr könnt so lieben, wie Gott euch liebt.
Ihr könnt so lieben, wie Christus euch geliebt hat.
Mit seinem ganzen Leben.
Das könnt ihr.
Mit eurem ganzen Leben.

Ich finde das unglaublich.
Ich stelle mir vor, mit welchem Hochgefühl der Verfasser des Epheserbriefes diese Sätze geschrieben hat.
Mit welchem Vertrauen in seine Brüder und Schwestern.
Und ich stelle mir vor, wie die Gemeinde in Ephesus diese Worte gehört hat.
Wir? Wir sollen Gott nachahmen? Meint der wirklich uns?

Und schließlich stelle ich mir vor, wie sie damals dort zusammengesessen sind in Ephesus.
Wie sie den Text gehört haben und sich gegenseitig angeschaut haben.
Die, die sich noch kurz vor dem Gottesdienst gestritten hatten.

Die drei Brüder, die sich um das Erbe ihres Vaters gezankt hatten.

Die beiden Frauen, die aufeinander eifersüchtig waren.

Die beiden, die sich in die Haare bekommen haben, weil sie so unterschiedliche Bilder von Gott haben.
Der Reiche, der den Armen in der Ecke keines Blickes würdigen wollte.

Wie sie alle zusammengezuckt sind bei dem Wort "Liebe".
Und verstanden haben, dass sie gemeint waren.
Sie haben sich angeschaut mit ihrem schlechten Gewissen und haben gewusst:
Wir werden uns vertragen müssen.
Wir werden uns gegenseitig helfen müssen.
Wie mühsam das auch werden wird: wir werden das schaffen.
Uns wird das zugetraut.

Denn wenn einer sagt: "Du bist Gottes Kind und Du kannst so lieben, wie Gott dich liebt"
dann kann man ja schlecht antworten:
Ach, nee, lass mal, Kind Gottes sein ist ja ganz schön,
ich will mich aber lieber weiter streiten.
Ich will weiterhin geizig sein.
Ich will weiterhin darauf beharren, dass nur ich den wahren Glauben habe
und dass alle falsch liegen, die anders glauben

"Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Wandelt als Kinder des Lichts;"
Wir - Kinder des Lichts, Gottes Kinder, die ihn nachahmen dürfen:
Ein Hochgefühl hat der Brief in der Gemeinde zu Ephesus ausgelöst. So stelle ich mir das vor.
Und dann muss ich dieses Hochgefühl in das tägliche Leben übersetzen.
Liebe, das ist der Antrieb. Das ist klar.
Aber wie geht es dann weiter?
Was genau heißt denn: "Gott nachahmen"?

So sein wie Gott sollen wir sicher nicht.
Uns so fühlen wie Gott sollen wir erst recht nicht.

Aber so handeln, wie Gott handeln würde,
ihn uns zum Vorbild nehmen, das sollen wir.
Wie Gott handeln würde, das haben wir ja in Jesus Christus gesehen.

Ja, die ersten Schritte sind nichts anderes als Jesus nachahmen.
So wie es die kleinen Kinder machen.
Wie Kinder lächeln lernen.
Greifen lernen.
Erste Schritte laufen lernen.
Sprechen lernen.
Indem sie ihre Eltern nachahmen.
So geht es los.
So können wir lieben lernen, wenn wir die Evangelien lesen.
Wenn wir uns den Lebensweg ansehen, den Jesus Christus gegangen ist.
Die Geschichten und Worte lesen und hören, die man von ihm aufgeschrieben hat.
Wenn wir uns von ihm prägen lassen, wie wir uns in der ersten Zeit unserer Kindheit von unseren Eltern haben prägen lassen.

Aber irgendwann werden die Entscheidungen komplizierter.
Nicht für jede Frage finden wir in den Geschichten Jesu oder überhaupt in der Bibel eine Antwort.
Denn die Welt hat sich in den letzten 2000 Jahren verändert.

Wie hätte Jesus auf Hasskommentare reagiert, die jemand unter meinen Facebook-Post geschrieben hat?
Was hätte Jesus zur Gentechnologie gesagt?
Welche Impfreihenfolge gegen Covid-19 hätte Jesus vorgeschlagen?

Man hört schon, dass das keine sinnvollen Fragen sind.
Oder zumindest sind es Fragen, auf die jeder und jede sich selbst andere Antworten geben kann.

Deshalb geht der Epheserbrief noch einen Schritt weiter.
"Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist", steht am Schluss unseres Textes.
Das heißt: Wir selbst müssen unsere Entscheidungen treffen.
Das ist mühsam, schon klar:
Wir selbst müssen uns informieren.
Müssen nachdenken. Müssen abwägen.
Und wir müssen dann selbst verantworten, was wir tun.
Unsere Verantwortung kann uns niemand abnehmen.
Aber wir sind damit eben nicht allein.
So wie unsere Eltern uns geprägt haben und wir diese Prägung unser ganzes Leben spüren -
So prägt uns auch Gott, wenn wir ihn lassen.
Wir sind seine Kinder.
Und wir tragen seine Liebe in uns.
Unser ganzes Leben lang.

Als Gottes Kinder haben wir eine Richtung mitbekommen.
Diese Richtung heißt Liebe und Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Und dieser Richtung sollen wir folgen, wenn wir unsere Entscheidungen treffen:
die großen Entscheidungen, die unser Leben und das Leben anderer beeinflussen.
Und die vielen kleinen, alltäglichen Entscheidungen.

Gottes Liebe begleitet uns dabei.
Wenn wir das wirklich spüren, dann kann nicht viel schiefgehen.

Nein, Gott bewahrt uns nicht vor Fehlentscheidungen.
Er bewahrt uns nicht vor unserer eigenen Unfähigkeit und Unzulänglichkeit.
Aber er verlässt uns nicht und entzieht uns seine Liebe nicht.
Denn wir sind seine Kinder. Und das werden wir immer bleiben.
Amen.