6. Sonntag nach Trinitatis: Predigt zu Matthäus 28

Predigttext: Mt 28, 16-20
Gottesdienst: 6. Sonntag nach Trinitatis
PredigerIn: Dr. Nikolaus Hueck, Pfarrer

Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.
Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und lehret alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Zigmal zitiert, dieser Text. Bei jeder Taufe.
Erst vor ein paar Tagen wieder.
Bei unserer schönen Taufe im Freien, am Mittelbach.
Mit echtem Augsburger Wasser direkt aus dem Bach und mit sehr fröhlicher Stimmung.
Neben dem Bauwagen der Waldgruppe.
Ich kannte das Grundstück bisher noch gar nicht -
umso mehr hoffe ich, dass wir da noch manche Taufe feiern können!

Taufet sie in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Zigmal schon vorgelesen.
Und dann doch etwas übersehen.
Den Anfang nämlich.
Die elf Jünger - also die zwölf ohne Judas - gehen auf einen Berg. Jesus hat sie dort hinbestellt.
Es ist oft ein Berg, wenn Jesus etwas wirklich wichtiges zu sagen hat:
Da lässt man die Niederungen des Alltags hinter sich.
Auf dem Berg wird der Kopf frei und der Himmel rückt ein Stück näher.
Man bekommt mehr Überblick.
Einen Panoramablick auf das eigene Leben.
Und manches wird klein, was nicht wirklich wichtig ist.

Die Jünger stehen also auf einem Berg.
Und als sie ihn, den Gekreuzigten und Auferstandenen sehen,
da fallen sie vor ihm auf die Knie.

Alle Jünger? Nein, nicht alle.
Denn dann kommt der Satz, den man gerne überliest:
Nur drei Worte: "einige aber zweifelten".

Ganz am Ende des Matthäusevangeliums, als alles schon passiert ist;
als Jesus gerade anhebt, seinen Jüngern sein Vermächtnis zu hinterlassen.
Ganz am Ende, da zweifeln immer noch einige.
Nicht irgendwelche Leute.
Sondern Jünger.
Also Leute aus dem engsten Kreis seiner Freunde und Begleiterinnen.
Sie zweifeln, trotz allem, was sie gesehen, was sie gehört und was sie erlebt haben.

Wenn ich das lese, dann stelle ich mir zwei Fragen.
Erstens: Wie soll ich mir die Reaktion Jesu darauf vorstellen?
Was hat er wohl gedacht, als er seine zweifelnden Jünger da gesehen hat?
Hat er sie überhaupt bemerkt?
Hat er sie vorwurfsvoll angeschaut?
War er wütend auf sie?
Oder hatte er Verständnis?

Ich stelle ihn mir nicht wütend, ich stelle ihn mir eher verständnisvoll vor.
Auf jeden Fall hat er allen seinen Jüngern und Jüngerinnen zugetraut, zu lehren und zu taufen.
Alles das weiterzugeben, was ihm in seinem Leben wichtig war.
Seine Hoffnung. Seine Liebe. Und sein Gebot, diese Liebe zu leben.

Das weiterzugeben, das hat er ihnen zugetraut.
Allen Jüngern.
Auch denen, die auch in diesen letzten Minuten noch zögern.
Die nicht so recht wissen, ob sie ihm und seiner Auferstehung wirklich voll und ganz vertrauen können.
Er traut ihnen.
Und er traut ihnen zu, in seinem Namen zu sprechen und zu taufen.
Trotz ihrer Zweifel. Ich finde das großartig.
Die zweite Frage, die ich mir stelle:
Warum hat Matthäus diesen Satz da hineingeschrieben?
Diese drei Worte: "einige aber zweifelten".
Eigentlich kommt das doch nicht so gut an, wenn man andere überzeugen will.
Wenn man andere für sich gewinnen will.
Dann muss man doch selbst überzeugt sein.
Dann kann doch nicht schon die eigene Kernmannschaft Zweifel haben. Trotzdem steht das von den Zweifeln drin.

Ich glaube, dieser Satz, den Matthäus da ganz am Ende in sein Evangelium aufgenommen hat, dieser Satz macht deutlich:

Das Christentum ist keine Ideologie.
So wie das Parteiprogramm der Kommunistischen Partei in China eine Ideologie ist.
"Die Partei hat immer recht", hieß es jetzt zu ihrem 100. Jubiläum. Wer daran zweifelt, bekommt die grausame Macht der KP Chinas zu spüren.

Im Christentum dagegen steckt schon von Anfang an das Wissen darum, dass es das Leben und den Glauben nicht ohne den Zweifel gibt.

Unser Glaube ist nicht nur etwas für 150prozentige.
Unser Glaube hat immer auch seine Aufs und Abs, seine Krisen, seine Durststrecken.
Gott fühlt sich manchmal ferner an und manchmal näher.

Und das beginnt tatsächlich schon bei der Taufe.
Die Taufe ist nicht der Panzer, der uns hart macht gegen alles, was uns im Leben passieren kann.
Die Taufe ist nicht die Versicherung gegen alle Katastrophen und Krisen in unserem Leben.
Die Taufe ist auch nicht die Garantie dafür, dass ich mein Leben lang mein Gottvertrauen behalte.
Das alles ist die Taufe nicht, so sehr wir uns das vielleicht wünschen würden.

Die Taufe, die Jesus seinen Jüngern anvertraut,
diese Taufe ist das Angebot, dass Gott mich mein Leben lang begleitet.
Ich glaube, genau darum geht es:
Um das Angebot der Begleitung.
Gott wird mich nicht verlassen.
Gott wird mich nicht loslassen.
Das ist sein Versprechen. Und das hält er.
Auch wenn ich das einmal vergessen sollte.
Darauf darf ich vertrauen. Mein Leben lang.

Darum geht es in der Taufe:
Um eine Art Grundvertrauen in das Leben.
Ich darf darauf vertrauen, dass ich niemals ganz alleine bin.
Selbst wenn ich mich so fühle.
Ich darf darauf vertrauen, dass ich ein Kind Gottes bin.
Auch wenn ich schon lange erwachsen,
vielleicht 70 oder 80 oder 90 Jahre alt bin.
Ich bin und bleibe ein Kind Gottes, immer.
Und als ein Kind Gottes darf ich sagen:
Was soll mir passieren? Ich gehöre zu Gott!
Wer soll mir was wollen? Gott ist bei mir!

Wenn ich ganz unten bin und kurz vor der Verzweiflung,
dann darf ich mich daran erinnern, dass ich getauft bin.
Das ändert nicht die Welt, aber das ändert mich.
Vielleicht schenkt mir das Hoffnung.
Vielleicht schenkt mir das Kraft.
Das ist das Angebot der Taufe.

In Zeiten von Corona ging und geht es vielen so.
Sie haben sich eher wie Waisenkinder Gottes gefühlt.
Die Einsamkeit.
Die Unsicherheit.
Die Angst.
In diesen Monaten war für manche nicht viel zu spüren von Zuversicht. Und für manche ist es auch heute noch so.
Nicht viel zu spüren vom Grundvertrauen in das Leben.
Da ist es nur noch finster und Gott scheint sehr, sehr fern.
Was soll ich mit einem Vater, der mich alleine lässt?

Ich glaube, dass das Erfahrungen sind, die die meisten von uns machen.
Ich glaube, dass der Zweifel und auch die Verzweiflung zu unserem Glauben gehören.

Wer getauft ist, der wird Teil einer Geschichte.
Und es ist eine Geschichte, in der nicht nur Hoffnung und Freude, sondern auch Verzweiflung, Trauer und Tod eine Rolle spielen.

Am Anfang dieser Geschichte steht Jesus Christus.
Schon seine Geschichte ist voller Angst und Zweifel.
Schon er kannte das Gefühl, von Gott verlassen zu sein.
Nicht nur am Kreuz, auch schon im Garten Gethsemane.

Ich finde, es tut gut, das zu wissen.
Es tut gut, in diese Geschichte hineingetauft zu sein.
In eine Geschichte und in eine Gemeinschaft,
in der wir die dunklem Seite unseres Lebens nicht wegleugnen müssen.
Sie gehören dazu.
Wir können uns davon erzählen.

Das haben wir an diesem Wochenende getan.
Wir haben uns davon erzählt, was uns Kraft gibt.
Was uns nach diesen schwierigen Monaten der Pandemie hilft, jetzt aufzuatmen.
Neue Luft und neuen Wind zu spüren.
Jetzt wieder neu anzufangen.
Nicht einfach beim Alten weiterzumachen.
Sondern tatsächlich neu anzufangen.
Wir haben uns davon erzählt, was es heißt, zu wissen, dass Gott uns dabei begleitet.

Manchmal muss jemand anderes für mich und mit mir glauben, weil ich selbst den Glauben nicht aufbringe.

Wir wissen, wo unser Heil ist.
Wir wissen, dass Gott uns begleitet.
Wir wissen aber auch, dass wir das nicht immer spüren können.
Und dass wir darauf angewiesen sind, dass wir uns gegenseitig stützen, trösten, in den Arm nehmen.
Es fällt leichter, in Gemeinschaft zu glauben, als für sich allein.

Und ich glaube, es ist genau diese Gemeinschaft, zu der Jesus damals geredet hat.
Zu den Glaubenden und zu den Zweifelnden.
Zu denen, die sich gegenseitig stützen.
Die miteinander und füreinander glauben.
Die ihre Freude teilen und ihre Angst.
Die von ihrem Glauben und ihrer Hoffnung erzählen.
Und ihren Zweifel nicht verstecken müssen.

Genau zu denen hat er gesagt:
Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende.
Amen.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.