Gottesdienst: 4. Sonntag nach Trinitatis
PredigerIn: Dirk Dempewolf, Pfarrer
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
Bei Geschwistern erlebe ich nach dem Tod der Eltern immer wieder große Verbitterung gegeneinander. Entweder verweigert ein Kind die Beerdigung, weil es sich von den Eltern und Geschwistern entfremdet hatte. Oder ein Kind hat den Eindruck von den Eltern enterbt worden zu sein oder das Geschwisterkind habe sich den größeren Erbteil geschnappt.
Die Kinder, von denen ich rede, sind mittlerweile deutlich über 50 Jahre alt und haben ihr ganz eigenes Leben und Vermögen. Sie hatten viel Kontakt zu den Eltern vor ihrem Tod, haben sie vielleicht sogar gepflegt oder wohnten zu weit weg und waren nur sporadisch bei den Eltern und Geschwistern. Da können sich in der Vorbereitung der Beerdigung der Eltern große Dramen abspielen und alte Geschichten, die Jahrzehnte zurück gehen, werden aufgewärmt. Alle drei, vier Beerdigungen kommt so etwas vor.
Man sieht, wie stark die Eltern und ihr Umgang mit den Kindern deren Leben prägt und deren Umgang miteinander. Mit dem Erwachsenwerden haben sich die Gefühle und Erlebnisse der Kindheit verfestigt, lassen sich nicht mehr lösen und bleiben in den Seelen. Viel Nähe kann viel Verletzungen bringen. Aus der gleichen Familie gehen unterschiedliche Lebensentwürfe und Persönlichkeiten hervor.
Wieviel mehr ist das so in einer Familie, in der der Vater Isaak nicht nur zwei Frauen hat, Lea mit sieben Kindern, seine Lieblingsfrau Rahel mit zwei Kindern und die drei Kinder zweier Mägde. Ungewöhnlich ist, dass er mit der zweitliebsten Frau am meisten Kinder hat und dass die Lieblingsfrau die jüngsten Kinder bekommt und früh stirbt. So entstehen unter den Brüdern zwei Gruppen, die älteren, die die Herden des Vaters betreuen und die jüngeren Josef und Benjamin, die zuhause bleiben bei den Zelten, dem Vater und den Frauen. Dabei bleibt Benjamin sein Leben lang der kleine niedliche Bruder, das Baby der Familie, der geliebt wird und nicht wirklich zählt.
Es ist der zweitjüngste Bruder Josef, der den Konflikt mit den großen Brüdern überstehen muss, die an ihm ihre negativen Gefühle gegen den Vater ausleben. Das hört sich nach Psychologie an, schreit heutzutage nach einer Familientherapie oder Aufstellung und ist doch durchaus aktuell. Dabei ist mir in der Vorbereitung der Predigt klargeworden, wer und wie Josef ist. Er ist der Geliebte, des Vaters sowie Gottes, der einzige Freie in der Familie und der Retter der Familie.
Im 1. Buch Mose Kapitel 50 die Verse 15 bis 21 sind das Resümee der Familiengeschichte des Jakob genannt Israel ben Isaak ben Abraham und der Anfang einer Geschichte, die bis ins Heute reicht:
Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte. Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. Amen
Josef tritt von Anfang seiner Geschichte an unbekümmert auf. Er erzählt und deutet vor den Brüdern seine Träume, in denen sie nicht gut wegkommen. Ja, sich sogar vor ihrem jüngeren Bruder verneigen, wie vor einem König. Man möchte ihn warnen: Pass auf, was du sagst. Mach Deine Brüder nicht noch saurer, sie sind es sowieso schon. Doch Josef ist naiv und voller Vertrauen und lebt in der Liebe seines Vaters. Er kann sich Böses innerhalb der Familie nicht vorstellen und auch eine Welt ohne den starken Vater nicht.
So tritt er wieder auf vor den Brüdern in einem bunten Festtagsgewand, das der Vater ihm geschenkt hat. Das bringt das Fass der Brüder zum Überlaufen, die wie einfache Hirten Tag und Nacht in Gefahr und Schmutz in der Steppe auf die Tiere des Vaters aufpassen müssen. Sie entsorgen den Bruder als Sklaven. Nur durch den Einspruch des ältesten Bruders bleibt er am Leben. Josef überlebt, steigt auf bei einem Beamten des Pharaos, wird beschuldigt und eingesperrt und steigt dank seiner Gabe der Traumdeutung wieder auf. Und die ganze Zeit hören wir kein Jammern von ihm, kein Hadern, nur eine Einstellung voller Vertrauen in Gott und eine unglaubliche Freiheit, selbst in der Gefangenschaft.
Ähnliches wird von Dittrich Bonhoeffer im Gefängnis in Tegel erzählt.
Mit Gottes Hilfe und Gabe, so versteht es Josef später, steigt er auf zum Wesir des Pharaos, zum obersten Minister. Seine erste Aufgabe ist es, die Ägypter vor dem Hunger zu bewahren und die zweite die Familien seiner Brüder zu retten. Dafür, so deutet Josef es, musste er den Weg durch Verachtung und Leiden gehen. Mit dieser Deutung behält er seine Freiheit und seine Größe.
Als der Vater Jakob gestorben ist, sucht die Brüder ihr schlechtes Gewissen heim und sie vergehen in ihrer Angst und Unfähigkeit zu Vertrauen und Liebe. So berufen sie sich auf den Vater als Schutzmacht und Josef wischt dies beiseite, braucht den Vater längst nicht mehr als Rückendeckung, sondern lebt aus der Freiheit der Gotteskindschaft.
Die Brüder gehen von ihrer eigenen Unversöhnlichkeit aus, von ihrem Gefühl, nicht geliebt zu werden und durch ihre Taten auch nicht liebenswert zu sein. So vermuten sie in Josef den Mann, der sie selbst sind, unsicher und gefangen in sich selbst und voller Rachsucht und Unversöhnlichkeit. Dann erleben sie einen Mann, der befreit von diesem allen Liebe, Vertrauen und Vergebung leben kann und die neue Welt, in der alle genug zum Leben haben, auch die Bösen.
Die Brüder haben sich nicht verändert und Josef ist der freie Mann geblieben, der er war und tröstet nun die in ihrer Angst, die ihn in seiner Angst in der Grube ließen. So endet das erste Buch Mose. So endet das Buch, in dem die Grundlage unserer Welt von der Schöpfung bis zum Leben in einer Welt Gottes beschrieben sind. So beginnt der Weg Gottes in dieser Welt mit den Menschen.
Auf der Spur Josefs verkündigt Jesus ben Josef das Kommen des Reiches Gottes,
in dem alle genug zum Leben haben, Israeliten und Ägypter, Gute und Böse,
in dem alle getröstet werden, Lieblingskinder und Enterbte,
in dem auch die Sünder zu Gott gehören, ja sogar die Feinde,
in dem Vertrauen der Erfolg ist und nicht die Größe der Schafherde.
Jesus, Sohn des Zimmermanns Josef lehrt seine Jünger:
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
Und er ruft sie in das Reich Gottes, in dem Familien geheilt werden, Wunden der Kindheit nicht mehr schmerzen und die Liebe die Verachtung überwindet, damit jeder und jede ein Freier, eine Freie wird mit der Rückendeckung Gottes, des Vaters.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen