Gottesdienst: 2. Sonntag nach Trinitatis
PredigerIn: Dirk Dempewolf, Pfarrer
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
wir leben in einer Zeit, in der Fremdheit zwischen den Menschen in einer Gesellschaft zunimmt. Viele fühlen sich fremd in einer Welt, die anders ist als der Jahrzehnte erprobte Alltag mit seiner Planbarkeit und Sicherheit. Um mit der Situation umgehen zu können, braucht es eine Erzählung, die begründet und tröstet und Perspektive gibt.
Viele halten sich an eine die Weitererzählung der bisherigen Geschichte und leben in dem Vertrauen, dass die Situation gemeinsam beherrschbar ist. Eine Gruppe von unter 10% verkündet lautstark, dass unsere Situation nicht ist, wie sie scheint und es eigentlich nie war. Sie sehen überall Feinde und Verbrecher, die ihnen rechte und Leben nehmen wollen.
Diese zwei Erzählungen haben keine Überschneidungen außer den Personen, die darin auftauchen. Selbstverständliche Begriffe, wie Demokratie, Würde, Pressefreiheit werden verschieden übersetzt und so versteht man sich am Ende nicht mehr.
Ich gebe ein Beispiel. „Es ist doch schön, dass die Inzidenz so niedrig ist.“ Darauf die Gesprächspartnerin: „Nach der Wahl wird sie wieder hochgehen.“ Nach der Wahl im Herbst könnte die Inzidenz wieder hochgehen. Letztes Jahr war das so, weil im Herbst die Menschen in ihre Häuser zurückkehren, näher beieinander sind und man sich leichter wieder ansteckt. Die Gesprächspartnerin meinte allerdings, dass die Politik jetzt so tut, als habe sie alles im Griff, auch die Virologen und die Presse, und im Herbst zeigt sich die wahre Situation. Nach der Wahl kommt übrigens auch die jährliche Grippewelle wieder und das Weihnachtsfest.
Der Apostel Paulus kämpft in seiner Korinther Gemeinde gegen die zunehmende Fremdheit und Zerrissenheit in Gruppen. Und das alles im Namen Gottes und des Evangeliums. Paulus plädiert für eine rationale Herangehensweise an die Fremdheit, damit sich die Gemeinde nicht in einer eigenen Fremdsprache verliert und um immer mehr Glieder wachsen kann.
So schreibt der Apostel im1. Brief an die Korinther Kapitel 14 die Verse 1 bis 12:
Strebt nach der Liebe!
Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet!
Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde.
Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf dass die Gemeinde erbaut werde.
Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre?
So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten?
So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden.
Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein.
So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut. Amen
Gerade klingt im Hörer noch das Hohelied der Liebe im 1. Korinther Kapitel 13 nach. Göttliche Poesie aus der Feder des Apostels, Theologie zum Träumen und Hoffen und Lieben und Vertrauen. Da wechselt der Apostel zurück auf den Boden der Tatsachen und des Verstandes. Liebe will gelebt werden, wenn sie Folgen haben soll. Die Poesie muss zur Motivation werden, Christ zu sein und als Christ zu leben.
Der Psychologe Erich Fromm erklärt zu Liebe gehören Disziplin, Geduld, Wichtigkeit und Arbeit, um Fremdheit praktisch zu überwinden und Liebe zu leben.
Der Apostel erklärt, welche Praxis der Gemeinde Fremdheit überwindet und die Zahl der Christen wachsen lässt. Dafür stellt er die Zungenrede und prophetische Rede gegenüber, Auferbauung und Aufbau.
Paulus selbst ist ein begabter Zungenredner und hat damit in der Gemeinde sein Ansehen gewonnen. Zungenrede ist das stammeln von Worten und Sätzen in einer für den Sprecher unverständlichen Sprache. Der Geist Gottes hat den Redner ergriffen und der äußert sich in Worten, die erst übersetzt werden müssen, damit die Gemeinde sie versteht.
Der Apostel wünscht, alle könnten in vielen Sprachen dieser und anderer Welten Gott loben und anbeten. Ihm sagen, wie groß und besonders er ist und wie dankbar sie sind. So dient die Zungenrede dem Gotteslob und den Christen zum Ausdruck ihrer Begeisterung, zu ihrer eigenen Auferbauung und Motivation.
Mehr noch wünscht der Apostel sich prophetische Rede bei den Christen. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde… in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre.
Paulus geht es darum, dass die Christen nicht für sich selbst bleiben, in ihrer eigenen Blase und Sprache, sondern dass das Evangelium um die Welt geht und alle Menschen anspricht. Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden.
Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein.
Es geht darum, für alle Menschen die Fremdheit des Evangeliums von der Liebe Gottes durch Jesus Christus zu überwinden. Der Inhalt der Botschaft ist schon fremd genug, dann soll wenigstens die Sprache, in der über ihn geredet wird, verständlich und zugänglich sein. Erbauung heißt nicht Selbstmotivation und Gemeinschaft in einer kleinen Gruppe, sondern in die große Gruppe einladen und an Zahl wachsen und eine weltweite Gemeinschaft bauen. Paulus verwendet hier das Wort für „ein Wohnhaus bauen“.
Zungenrede ist geistgeführte Rede, ist unbewusst und enthusiastisch, dient einem selbst und Gott. Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. In den Wind geredet, weil nur Gott weiß, was der Geist sagen will, weil viele es nicht verstehen und andere es verstehen, wie es ihnen passt. Zungenrede schafft Fremdheit oder erhält sie. Deswegen hört man die Zungenrede auch in pfingstlerischen Gemeinden selten. Eher hört man dort prophetisches Reden.
Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut. Worte, die Gemeinde bauen, die Menschen dazu einladen, die sie zu Christus führen und dort halten, die ihr Leben zu Gott wenden und es dort halten. Die wünscht sich der Apostel für seine Gemeinde. Er will Worte des Verstandes in der Gemeinde, damit sie wieder zusammenwachse, damit sie in die Welt hinein das Evangelium verkünde.
Er ergänzt: Denn wenn ich in Zungen bete, so betet mein Geist; aber mein Verstand bleibt ohne Frucht. Wie soll es aber sein? Ich will beten mit dem Geist und will auch beten mit dem Verstand; ich will Psalmen singen mit dem Geist und will auch Psalmen singen mit dem Verstand. Wenn du Gott lobst im Geist, wie soll der, der als Unkundiger dabeisteht, das Amen sagen auf dein Dankgebet, da er doch nicht weiß, was du sagst? Dein Dankgebet mag schön sein; aber der andere wird nicht erbaut. Ich danke Gott, dass ich mehr in Zungen rede als ihr alle. Aber ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Verstand, damit ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte in Zungen.
Unsere Gesellschaft, unsere Welt heute braucht nicht immer mehr Sprachen in immer mehr Gruppen. Sie braucht nicht immer mehr Zersplitterung, sondern mehr Einheit im Bewusstsein, dass Gott uns als seine Kinder geschaffen hat diese Welt zu bebauen und zu bewahren, wo auch immer wir sind.
Jesus Christus ruft uns zu diesem Anfang zurück.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen