Gottesdienst: 10. Sonntag nach Trinitatis
PredigerIn: Dirk Dempewolf, Pfarrer
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wohin du auch ziehst. Der Taufspruch von Lara aus dem 1. Buch Mose Kapitel 28 beschreibt das unstete Leben der Nomaden vor 3000 Jahren und das Versprechen Gottes mit ihnen auf dem Weg zu sein. Es soll keinen Ort geben, an dem Gott nicht mit ihnen unterwegs ist. Mit der Taufe wiederholt Gott dieses Versprechen für jeden Menschen: Ich bin bei wo immer Du hinziehst bis an das Ende der Welt.
Die Taufe für das Volk Israel war die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten und der Zug durch das Schilfmeer in die Freiheit. Damit zeigt sich Gott als Beschützer dieses Volkes und seiner Menschen. Deshalb führt er sie in der Steinwüste Sinai zu seinem Berg, auf dem Mose ihm begegnen darf. Ein Anfang mit Israel ist gemacht und nun möchte Gott sein Versprechen von Schutz und Begleitung von den Vätern Abraham, Isaak und Jakob auf ein ganzes Volk ausweiten. Dazu lädt er Moses auf den zweithöchsten Berg des Sinai mit 2300 Metern Höhe zum Gespräch.
Im 2. Buch Mose Kapitel 19 die Verse 1 bis 6 bietet Gott an:
Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der Herr rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.
Amen
Adler lehren ihre Jungen das Fliegen, indem sie sie von einer Höhe herabstoßen und dann auf ihrem Rücken wieder auffangen und ins Nest tragen bis sie selbst fliegen können. Gott hat das Volk durch die Wüste bis hierhin getragen, hat sie mit Wasser und Essen versorgt und ist bereit das weiterhin zu tun. Das ist die gute Nachricht für das befreite Volk. Der zweite Teil der Vereinbarung ist, dass das Volk, das Gott sich erwählt hat, ihm allein treu sein und sich an seine Gebote halten soll, damit es frei bleibt.
Die Befreiung und Erwählung Israels ist Befreiung und Erwählung zum Dienst: Gottesdienst statt Sklavendienst. Der HERR, der Gott Israels, hat sich als Bundesgenosse, als Freund und Geliebten dieses Volkes erwiesen, um dieses Volk zum Freund, zum Kind zu gewinnen: Ich will euer Gott sein, ihr sollt mein Volk sein. Bevor es in das versprochene Land gelangt, erhält es hier am Sinai Weisung, damit es im neuen Land nicht zu ägyptischen Verhältnissen, zu Ungerechtigkeit und Sklaverei kommt. Weisung zum Leben, zum Bewahren der Freiheit erhalten sie, die sich schon in der Wüste auf dem Weg bewähren sollen.
Die Freiheit des Volkes besteht darin, dass sie diesem Gott und anders als Ägypten, Babylon oder Persien nicht eigenem Großmachtswahn dienen dürfen. Vielleicht ist es deswegen ein kleines Volk ohne große Geschichte, das Gott auserwählt, vielleicht ist es deswegen der zweithöchste Berg des Sinai, auf dem Gott begegnet, nicht der höchste.
Worin dieser Dienst im Einzelnen besteht, erfährt Israel in der Folge, wenn es auf die Stimme Gottes hört.
Die Befreiung geschah bereits in Ägypten und am Schilfmeer. Zu einem festen Bund und einer besonderen Beziehung, zur Freundschaft lädt Gott dieses Volk nun in der Wüste ein. Damit beginnt sein Weg vom unbekannten Nomadenvolk zum Volk Gottes.
Doch was mag das sein, ein Gottesvolk? Wozu braucht Gott ein besonderes Volk? Ihm gehört doch, wie er im selben Satz sagt, die ganze Erde; er ist es, der Himmel und Erde geschaffen hat. Alle Menschen aller Völker sind seine Geschöpfe. Warum und wozu erwählt er eines dieser Völker besonders und macht es zu etwas Besonderem? Und was haben wir aus den anderen Völkern mit dieser Geschichte zu tun? Was geht sie uns an?
Gott hat bei der Erwählung Israels, bei seinem Bund mit diesem Volk auch uns, die anderen Völker im Blick. Er zeigt in dieser besonderen Geschichte, wie er im Allgemeinen, im Ganzen ist. Er liebt alle Menschen, indem er Israel liebt. Diese besondere Geschichte geschieht stellvertretend für die Weltgeschichte, ist ihr roter Faden, ihre Mitte. Gott sagt selbst, wozu er Israel erwählt hat, wozu er ein besonderes Volk braucht; und auch, was das ist: ein Gottesvolk, ein heiliges, also ausgesondertes Volk: Ihr werdet mir sein ein Königreich von Priestern.
Das Wort Königreich verweist auf den Bereich der Politik. Dieser Gott interessiert sich nicht nur für Glaubensinhalte, nicht nur für Einzelne, nicht nur für Seelisches. Er will mit diesem Volk der Welt zeigen, wie eine Gesellschaft auch sein kann, selbstbewusst, gerecht und ohne Ambitionen über die eigenen Grenzen hinaus. Er will Recht und Gerechtigkeit verwirklichen. Ein Königreich bedeutet: Die Art und Weise der Politik soll zeigen, wer regiert. Er hat darum ein Volk erwählt und hat ihm ein Land versprochen als materielle Grundlage einer neuen Gesellschaft.
Und diese Erwählung geschieht stellvertretend für das Ganze: Dieses Volk soll ein Königreich von Priestern sein. Priester, für uns Protestanten ein fremdes Wort, das sind Menschen, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Ein Priester vertritt Menschen vor Gott, distanziert sich nicht von den Gottlosen, sondern solidarisiert sich mit ihnen, spricht und handelt stellvertretend für alle. Er vertritt aber auch Gott bei den Menschen, tut seinen Willen kund, macht seinen Einfluss geltend. Vor allem: Er spricht Menschen Segen zu, Gottes fördernde, helfende und schützende Begleitung. Israel als Ganzes, als Volk soll ein kollektiver Priester sein, soll vermitteln zwischen diesem Gott und allen Menschen, Kontakt herstellen. Die Völker kommen mit Gott zusammen, indem sie mit diesem Volk zusammen sind. Sie lernen diesen Gott kennen, indem sie auf diese besondere Geschichte aufmerksam werden.
Jedenfalls war das Gottes Ziel. Schon Abraham hatte er versprochen, seine Nachkommen werden ein Segen sein für alle Völker. Und im 5. Buch Mose wird in Aussicht gestellt, die anderen Völker werden aus dem Staunen gar nicht rauskommen angesichts Israels und seiner anderen Art des Zusammenlebens, seiner gesellschaftlichen Organisation
Das jüdische Volk hat immer wieder versucht, die Last seiner Erwählung, diese Sonderrolle abzuschütteln. Es wollte lieber ein Volk wie alle anderen sein, mit einem eigenen König, Pracht und Siegen im Krieg, mit Macht und Ansehen – was ihm aber nie ganz gelungen ist. Und die anderen Völker haben sich keineswegs von diesem besonderen Volk aufklären lassen über seinen besonderen Gott. Sie haben feindselig reagiert, es bekämpft, haben in seiner Erwählung keinen Segen gesehen. Sie waren gekränkt und eifersüchtig, nicht selbst erwählt zu sein. Und erwählten sich auch selbst – kaum ein Nationalismus kommt ohne Judenhass aus. Die Völker verstanden die Erwählung Israels als Ausdruck einer ungeheuren Arroganz dieses kleinen Volkes. Israel fand und findet zwar in der Tat große Beachtung in fast allen Völkern, steht unter besonderer Beobachtung, aber nicht als Gottesvolk, als Segen und Licht der Völker, sondern als besonders verhasstes Volk.
Der Bund zwischen Gott und seinem Volk ist nicht gekündigt. Gott hält Israel die Treue – neben der Kirche, auch gegen sie. Die schiere Existenz des jüdischen Volkes, allen Versuchen, es auszulöschen, zum Trotz, ist uns ein sichtbares Zeichen der Treue Gottes, der auch wir trauen. Das ist eine frohe Botschaft, dass Gott uns treu ist, wie er es Israel immer war.
Durch das Evangelium von Jesus Christus wurden Menschen aus vielen, aus fast allen Völkern auf die besondere Geschichte, auf die Beziehung zwischen Gott und diesem Volk aufmerksam. Mit dem Kreuz und der Auferstehung Jesu sind wir wieder am Sinai und Gott bietet nun allen Menschen diese besondere Beziehung, diese Gotteskindschaft an. Die Taufe ist ihr Anfang.
So entdecken wir Christen aus den Völkern nun unsererseits eine priesterliche, eine vermittelnde Aufgabe. Wir sind das Salz in den Völkern, dass die Völker zu Frieden aufruft, zu Gerechtigkeit, zur Gemeinschaft miteinander und mit Gott und seinem Volk des Anfangs. Wir bitten die Völker an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott – und mit seinem Volk. Denn der Bund am Sinai wurde durch den Bund in Kreuz und Auferstehung Jesu zu einem Bund für alle Menschen. Mit der Taufe sagt Gott zu uns jedem von uns: Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wohin du auch ziehst.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen